Hallo! (:
(Ich tu das mal in „Fragen und Antworten“ und nicht in ein spezifischeres Forum, da in diesem Thread auch gern nach anderen Phänomenen gefragt werden kann.)
Mir fällt bei Beispielsätzen (sowohl in Sprachlern- als auch in wissenschaftlichen Kontexten) immer wieder auf, dass die erste und zweite Person (meist Singular) in Konstruktionen gezeigt werden, die pragmatisch unwahrscheinlicher sind als das jeweilige Gegenstück. Das ist in der Regel zweite Person in Deklarativsätzen und erste Person in Interrogativsätzen:
(1)
Du bist spazieren gegangen.
(2)
Bin ich spazieren gegangen?
Es gibt wenige Kontexte, in denen diese Sätze realistisch geäußert würden. Mir fällt ein: Personen mit Erinnerungsschwierigkeiten; rhetorische Aussagen bzw. Fragen; im Falle von (1) vielleicht eine Kontextualisierung eines anderen Geschehnisses (
Du bist spazieren gegangen. Es war niemand zuhause und das Paket wurde bei der Nachbarin abgegeben.). In meinem Sprachgefühl gibt es aber einen deutlichen Unterschied in der Wahrscheinlichkeit von
Du bist spazieren gegangen. und
Ich bin spazieren gegangen. – angenommen, ich hätte keine Personalmarkierung und würde das Pronomen droppen (
Went for a walk.), ich würde es in Isolierung definitiv als erste Person interpretieren (wenn nur die zwei zur Auswahl stehen).
Ist das nachvollziehbar soweit? Wenn nicht, probiere ich gern noch einen anderen Erklärungsansatz.
Meine Frage ist nun: Gibt es eine Sprache, in der das finite Verb eine unmarkierte Form U und eine markierte Form M hat, und U ohne Pronomen für das Subjekt immer die Person (von I oder II) impliziert, die im
syntaktischen Kontext pragmatisch wahrscheinlicher[1] ist, und M diejenige, die unwahrscheinlicher ist? Oder in irgendeiner anderen Weise mit dieser Asymmetrie der Wahrscheinlichkeit umgeht? Wenn nicht, wurde dieses Konzept wenigsten schonmal untersucht? (Und was denkt Ihr zu meinen Überlegungen, wenn Ihr dazu eine Meinung habt? Bilde ich mir da bloß was ein?)
Nun gibt es natürlich Sätze wie
Du bist nett. oder
Habe ich etwas im Gesicht?, wo es andersherum ist. In meinem Gefühl sind solche Fälle aber seltener. Und selbst wenn nicht, macht das nicht wirklich einen Unterschied für meine Frage, da es ja Regeln geben könnte, die die Semantik der Markierung in Sätzen aufgrund bestimmter Eigenschaften umkehren (z. B. basierend auf Evidentialität). Das U/M-System hätte immer noch den Vorteil gegenüber absoluter I/II-Markierung, dass die Form, die häufiger verwendet würde, unmarkiert (sprich: ökonomischer) wäre.
Das Thema beschäftigt mich seit Jahren. Bisher habe ich das an meinen Kunstsprachen ausgelassen, aber jetzt interessiert es mich doch, wie es in anderen Sprachen aussieht.
Liebe Grüße
Yaouoay
Fußnoten:
- Natürlich nicht im rein pragmatischen Kontext, das würde zu viel Spielraum offenhalten. Ich meine sowas wie U in Deklarativ = I und in Interrogativ = II.