Per Du zum Wir

HEY DU!

Hast du momentan auch das Bedürfnis die ganze Welt zu umarmen, einfach nur weil man es nicht darf? Kennen wir. 

Wir finden es ist Zeit, Distanz so gut es geht zu streichen, ohne uns dabei zu berühren. Wie das funktionieren soll? Wie wärs denn mit dem “Du”.

Es ist 2020 und trotzdem siezen wir noch verdammt viel. 

Wir finden:
Siezen fördert Distanz und Hierarchiedenken. Dabei sollte genau das endlich aus unseren Köpfen gestrichen werden. 
Gerade jetzt brauchen wir eine Sprache, die uns vereint und Nähe spüren lässt.

Wie stellen wir uns das vor? Schau dir unser Video an.

Deshalb starteten wir die Du-Revolution. Wir wollen das „Sie“ aus dem Duden streichen. Hilf uns dabei und unterschreibt jetzt unsere Petition auf www.tinyurl.com/perDuzumWir

Falls du noch mehr Infos möchtest und nicht einfach irgendwelchen dahergelaufenen Dullis recht geben willst, verstehen wir das natürlich. Schau doch mal in unseren Blogartikel rein. Diesen findest du unter www.dersommer.blog/die-du-revolution/


Vielen Dank für DEINE Unterstützung! Wir freuen uns auf eine neue sprachliche Zukunft mit DIR :)

@Sommerhoch2

Hallo, wollen wir das Thema nicht vielleicht lieber in das Unterforum "Pragmatisches & Sprachliches Handeln" verschieben? Da kann es vielleicht besser diskutiert werden, weil es da thematisch hinpasst. Und ich kann mir gut vorstellen, dass es hierzu einige Fragen und Kommentare gibt.

Viele Grüße,
Kevin

(04.05.2020, 17:27:44)Sommerhoch2 schrieb: Wir finden:
Siezen fördert Distanz und Hierarchiedenken. Dabei sollte genau das endlich aus unseren Köpfen gestrichen werden. 
Gerade jetzt brauchen wir eine Sprache, die uns vereint und Nähe spüren lässt.

Ich lehne bewusste Sprachänderungen mit politischen oder gar psychologischen Zielen grundsätzlich ab. Nähe spüren lässt mich nur Nähe. Da hilft kein Zwang zum Du.
Zudem habe ich gegen Hierarchie und Distanz nichts einzuwenden.

Ich muss mich @kunnukun anschließen. Derlei Versuche sind glücklicherweise fast ausschließlich zum Scheitern verurteilt. Weder die Dudenredaktion noch die Sprechergemeinschaft lassen sich durch eine "Petition" beeindrucken. Per Definition sind Petitionen Bittstellungen (Forderungen) an Höhergestellte. In einer Demokratie kann so eine Petition mitunter für die gewählte Volksvertretung als Adressatin verbindlich sein, aber das ist dann auch schon alles. Privatwirtschaftliche Unternehmen wie eben z.B. der Dudenverlag oder gar die Gesamtheit der Deutschsprechenden werden sich mit solch einem Mittel zu nichts zwingen lassen. Und das ist auch gut so.

Ganz davon abgesehen ist "der Duden" ein deskriptives Nachschlagewerk, das den Sprachgebrauch abbildet und die Regeln der amtlichen Rechtschreibung auf den aufgenommenen Wortschatz anwendet, ohne den Wortschatz vollständig erfassen oder regulieren zu wollen. Es werden diejenigen Wörter in den Duden aufgenommen, die häufig genug verwendet werden. Umgekehrt fällt heraus, was nicht (mehr) verwendet wird. Der Normierungscharakter des Werks ist zudem eben auch nur amtlich. D.h. es ist nur im Behördenverkehr inklusive Schulen verbindlich.

Und selbst wenn eine Petition an unser Parlament und nicht den Dudenverlag gerichtet wäre – was wäre der Sinn? Es gibt im deutschen Sprachraum keine sprachplanerische Gesetzgebung. Niemandem kann ein bestimmter Sprachgebrauch verboten oder verordnet werden.
Wenn überhaupt, müsste also vielmehr auf einen Gesinnungswandel in der Sprachgemeinschaft hingewirkt werden. Und dass das schwer ist, sehen wir ja an der Genusdiskussion.

Zwei drei Gedanken zum Inhalt: Ich vermute, der ein oder andere kennt sich in der Höflichkeitsforschung besser aus, aber verschwinden mit dem Sie wirklich Status und Distanz? In den USA, die da als Beispiel angeführt werden, werden diese Sachen ja auch noch existieren, aber eben über Gestik, Kleidung etc. Insofern scheint mir das Ansetzen beim Wort etwas inkonseqent. Zudem scheint mir Status und Hierarchie nicht der Haupteffekt, sondern einfach Distanz.

"Untereinander wurde eine Distanz aufgebaut. Die Beziehungen wurden kühler und unpersönlicher."
In manchen Bereichen ist eine distanzierte Beziehung durchaus vorteilhaft. Gerade im Umgang mit wütenden Kunden usw. Ich denke, das Sie schafft schon eine Art symbolische Distanz, und die kann auch gewollt sein.

"In Skandinavien ist das Duzen in der Firma üblich. Interessant dabei ist, dass dort auch eine höhere Arbeitszufriedenheit herrscht, laut der IWKoeln."
Kenne die Studie nicht, aber warum sollte da ein Zusammenhang bestehen?

"Viele User empfinden das Siezen in Sozialen Netzwerken als unhöflich. Das Du ist hier Gang und Gebe."
Interessant, dass man gerade soziale Netzwerke als Beispiel für einen höflichen Umgang miteinander anführt. (Hat für mich auch alles eher den Geschmack einer Werbekampagne in eigener Sache.)

(05.05.2020, 05:31:21)janwo schrieb: Und selbst wenn eine Petition an unser Parlament und nicht den Dudenverlag gerichtet wäre – was wäre der Sinn? Es gibt im deutschen Sprachraum keine sprachplanerische Gesetzgebung. Niemandem kann ein bestimmter Sprachgebrauch verboten oder verordnet werden.
Wenn überhaupt, müsste also vielmehr auf einen Gesinnungswandel in der Sprachgemeinschaft hingewirkt werden.

Ich verstehe das Anliegen so, dass ein Gesinnungswandel von den Initiatoren gewünscht wird. Es soll auf mehr 'Nähe zwischen den Menschen' hingewirkt werden. Dabei werden Hierarchie und Distanz als etwas Schlechtes erachtet.  Dazu: 1) Nähe wird nicht durch sprachliche Konvention geschaffen. Ich bezweifle, dass man sich im englischen Sprachraum 'näher' ist, weil dort das "Sie" fehlt. 2) Nähe wird nicht durch Hierarchie erschwert. Ich vermute sogar, dass klare Hierarchien förderlich sein können, wenn es darum geht, sich einander anzunähern.

Da sind auch schon quasi alle Punkte bei, die ich ansprechen wollte. "Der Duden ist die falsche Adresse." "Erzwingen lässt sich sowas selbst in der Sprachgemeinschaft nicht." "Das Sie hat auch Vorteile." etc.
Ich weiß noch, wie damals nach der Fußball-WM in Deutschland die BILD (ja...) dazu aufgerufen hat, dass wir das "Sie" durch "du" austauschen, weil wir ja als so gastfreundlich empfunden wurden. Solche Forderungen tauchen immer wieder auf, mit annekdotenhaftigen Gründen. 

Ein Unterschied zum Gendern liegt auch darin, dass die Strukturen für das Gendern schon da sind und auch genutzt werden. Die Adressierung an -er und -innen wurde schon immer in der Form benutzt, daher existiert die Pragmatik. Das Gender will nur die Konsequenz bestärken, weil ansonsten ein semantisches Schiefgewicht erzeugt wird, Männer werden angesprochen - Frauen aber nicht. Das Siezen erzeugt aber im Moment kein wirkliches Schiefgewicht. Nur das negative Ausnutzen eines andererseits intakten Systems erzeugt das, jemanden duzen, der/die gesiezt werden will, etc. Das heißt auch, das System basiert bereits teils auf Reziprozität und gemeinsamer Konvention: Es wird gesiezt, den man respektiert, was auch ein positives Zeichen ist. Und es wird das Du angeboten, wenn eine affektive Nähe entsteht. Sie/Du ist kein autoritäres System, man kann durch das gleiche System Nähe und Respekt ausdrücken.

Die Forderung ist in soweit arbiträr, als würde man das intakte Kasussystem revolutionieren wollen, weil kastensystemähnlich Argumente (die Personen sein könnten) des Satzes in reine Funktionen eingeteilt werden.

Wenn man den Blick global schweifen lässt, was ja getan wird (zufälligerweise nur auf Sprachen, die keine offensichtlichen Honoritätsstufen mehr haben), dann sieht man viele Systeme, die ein weitaus ausgebuffteres Honoritätssystem als nun das Deutsche haben. Man siehe Vietnamesisch mit theoretisch hunderten Personalpronomen mit den ach so feinesten Konnotationen von Respekt, Nähe, Beziehung etc. Jemanden mit der passenden und respektabelsten Form anzusprechen ist ebenfalls Nähe und Respekt. Leute zu zwingen, ein Ungleichgewicht zu erzeugen durch das falsche Benutzen eines Systems, ist es nicht.

(Außerdem wird auf der Webseite erwähnt, dass im Niederländischen nicht mehr gesiezt wird. Das ist meines Erachtens nach aber falsch, es wird sehr wohl gesiezt. Vor vielen Jahren sogar noch Familienmitglieder außerhalb der Kernfamilie.)

Kommentar von "X Gottfried Yang" auf Facebook:

Zitat:ein Beitrag von "Sie" zur Linguistik ist, es hilft uns die Verbstellung im Imperativsatz zu ermitteln. Denn "du" und "ihr" kommen im Imperativ nicht vor

Das jetzige zweistufige System ist ja schon eine Reduktion. Je nach Interpretation hatte das Deutsche mal bis zu fünf Stufen. Dass sich das wieder reduziert hat, ist sicherlich mit den gesellschaftlichen Veränderungen des langen 19. Jahrhunderts verknüpft, aber es ist von selbst passiert. Da musste niemand offiziell irgendetwas abschaffen. Sollte das Sie irgendwann obsolet werden, dann wird es das infolge gesellschaftlicher Veränderungen, nicht als deren Auslöser.

Für das Sprachgefühl der Jüngeren will ich nicht sprechen, aber für mein Empfinden sind die zwei Stufen Du und Sie gut wie sie sind. Ich möchte von manchen Menschen ganz und gar nicht geduzt werden, von einigen auch explizit nicht mehr. Auch nicht ungefragt geduzt werden will ich von Firmen, die in ihrer Betriebs- und Kundenkommunikation plötzlich das Anredepronomen im Singular entdeckt haben (sog. IKEA-Du) und hip sein wollen, oder von der Bedienung in einem Geschäft, das ich nicht als Stammkunde schon ewig besuche. 

Das höfliche Sie drückt ja nicht nur eindimensional Distanz aus, es ist auch ein Zeichen von Respekt oder Wertschätzung.

Das Ganze ist eine Kampagne von

(04.05.2020, 17:27:44)Sommerhoch2 schrieb: irgendwelchen dahergelaufenen Dullis

einer "Kreativagentur", das sollten wir nicht vergessen. Das hat weder eine soziologische noch eine linguistische Basis, die einer kritischen Überprüfung standhielte. Aber vielleicht können wir als Fachleute hier aufklärend wirken.

Die ewige Frage, was war zuerst da:
Siezen wir, weil wir anachronistische Hierarchien im Kopf haben < > oder haben wir anachronistische Hierarchen im Kopf, weil wir Siezen?

Beim Gendern stellt sich diese Frage, aber bei einem Punkt muss man anfangen, und da ist beispielhafte, offizielle Sprache ein gutes Mittel, unter vielen anderen.
Meiner Meinung nach stellt sich die ganze Frage beim Siezen aber gar nicht. Deswegen ist es merkwürdig, eine Antwort geliefert zu bekommen.

(05.05.2020, 11:50:09)janwo schrieb: Das hat weder eine soziologische noch eine linguistische Basis, die einer kritischen Überprüfung standhielte.

Wann man das so unvermittelt wie vorgeschlagen umsetzt, ist es allenfalls eine Art Krisenexperiment. Dass man schon sehr viele, sehr spitze Mistgabeln braucht, um die Redaktion eines deskriptiven Wörterbuchs davon zu überzeugen, sollte klar sein; da hilft auf kein Revolutionsaufruf. ;) Und es bringt ja auch nichts. Hierarchien- und Distanzabbau klingen gut und lassen sich prima proklamieren und verkaufen, aber die Sprache ist an der Stelle wirklich eher als Oberflächenphänomen zu sehen. Persönlich halte ich das ganze eher für eine Art Werbgag. Es ist im ersten Moment ganz witzig und handwerklich gut gemacht, finde ich. Aber es ist denke ich klar, dass es nicht wirklich darum gehen kann, etwas im Duden zu ändern und auch eine Änderung im Sprachgebrauch ist eher zweifelhaft.

Und nebenbei: Die sozialen Medien sind nicht "das Internet". Im Prä-Facebook und Zeitungskommentarspalten-Internet war das Du -- wie ja auch hier im Forum -- Standard. Dass sich im Netz gesiezt wird, habe ich wirklich erst wahrgenommen, als zunehmend Leute aus anderen Kontexten dazu gestoßen sind.

Persönlich finde ich es in der Theorie überlegenswert, das Sie los zu werden. Aber in der Praxis bin ich so halt nicht erzogen worden und ich tue mich (zum Beispiel auf der Arbeit) eher schwer damit, ältere und/oder Respektpersonen zu Duzen. Firmen, die mich duzen finde ich, insb. bei Banken oder Versicherungen, auch eher irritierend.

Ist es nicht geradezu ironisch, einen Hierarchieabbau zu propagieren, den man unter Ausnutzung der Machtstruktur einer Hierarchie erzwingen will?