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Erledigt: 29.07.2020, 02:53:55 Gender, Genus, Sexus und der ganze Rest
#76
 
Nettes Beispiel für sprachliche Weltveränderung:

http://www.untergrund-blättle.ch/audio/5...rache.html
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#77
 
Mir ging unlängst ein Beispiel aus dem Russischen nicht mehr aus dem Kopf:

heiraten kann man auf Russisch in mehrerlei Weise ausdrücken: 

  1. жениться = 'sich verheiraten, heiraten, ehelichen, die Braut/Frau heimführen/-holen', wörtlich aus {Frau} + {Verbalisierer} + {Infinitiv} + {Reflexiv}  kurzum: 'heiraten aus der (heterosexuellen) Perspektive des Mannes'
  2. выходить замуж = 'heiraten, einen Mann nehmen', wörtlich: '(hin)eingehen/eintreten für/hinter [den/dem] Mann', kurzum: 'heiraten aus der (heterosexuellen) Perspektive der Frau'
  3. вступать в брак = 'wörtlich: in den Ehestand treten', 'heiraten' (neutral)
Als ich in den frühen 1990er Jahren anfing, russisch zu lernen, gab es die dritte Form noch nicht, zumindest nicht in den Lehrwerken, die öfter als nicht aus tiefsten Sowjetzeiten (1960er/70er) stammten; ein einfaches perspektivneutrales Verb gibt es m.W.n. bis heute nicht. 

Hier schlägt sich eine Gender-Unterscheidung sprachlich nieder, allerdings nicht in etwas, was auch nur im entferntesten mit grammatischem Genus zu tun hat. Habt Ihr vielleicht noch andere Beispiele für derlei?
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#78
 
Auf Diversity Linguistics Comment (DLC) entspinnt sich eine Diskussion zum Thema. Kurzer Auszug: 

Ist die Gender-Grammatik biologisch vorherbestimmt? Eine Klarstellung von Josef Bayer, Universität Konstanz

Zitat:Von einer „Machbarkeit“ von Sprache, sieht man einmal von der bewussten Entlehnung von Vokabeln und Idiomen ab, scheint man weit entfernt zu sein. Und daher bleiben die Versuche der Gender-Linguistik im Bereich von Umetikettierungen. Sie werden von einer kleinen Gruppe in aggressiver Weise der Bevölkerungsmajorität gegen deren Willen angedient. Mit Sprachwandel, sei er nun altertümlich und romantisch oder sonst was, haben sie rein nichts zu tun.


Artikel von Beyer in der NZZ: https://www.nzz.ch/feuilleton/die-geschl...ld.1472991
Kommentar von Haspelmath: https://dlc.hypotheses.org/1730
Replik von Beyer: https://dlc.hypotheses.org/1736
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#79
 
Ich will nicht den Fluss unterbrechen, der Beitrag von Beyer hat mich schon genug getriggert und aufgeregt. Ich will aber ein Video teilen, das es irgendwie nur auf Facebook gibt, das das Thema so gut komprimiert und anschaulich erklärt, dass ich es immer jedem gerne teile:
https://www.facebook.com/TitelThesenTemp...0428727319
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#80
 
Beyer hat zumindest insofern Recht, finde ich, als dass es extrem schwierig bis geradezu unmöglich ist, sprachlichen Wandel in einer Weise zu verordnen, dass er sowohl gründlich (d.h. durch die Sprachgemeinschaft in ihrer Gänze umgesetzt) ist als auch zügig (d.h. nicht erst über den schleichenden Generationswechsel) vor sich geht.

Die "Das haben wir immer schon so gemacht"-Fraktion wird man wohl nicht bekehren können. Und das ist das, was mich an dem Diskurs stört. Der Anspruch, die konservativ(st)en Teile der Sprecher[1]gemeinschaft zwingen zu wollen. Egal was und egal wie logisch oder berechtigt es objektiv gesehen sein mag, sie werden sich quasi reflexhaft wehren, schon weil es Veränderung ist und schon weil es von außen herangetragen ist. Da blockiert es – und das wird es auch stets – schon vor einer Aufnahme des Inhaltes. Wird der dann doch einmal wahrgenommen, wird er auch abgelehnt und zwar vehement, polemisch und unerbittlich. Das mag ärgerlich sein, aber es ist ein quichottesker Windmühlenkampf, hier etwas bewirken zu wollen: Denjenigen, die offen für diese Thematik sind, braucht man es nicht mehr zu predigen, und die anderen wird man ganz gewiss nicht umstimmen können. Niemals. — Muss man aber auch nicht! Die wachsen sich nämlich langsam heraus aus der Gemeinschaft und sind daher die völlig verkehrte Zielgruppe.

Meiner Ansicht nach kann ein echter Wandel nur da stattfinden, wo Sprachgewohnheiten noch formbar sind: in der Erwerbsphase bis zur Verfestigung nicht nur sprachlicher Gewohnheiten und Ansichten in der späten Adoleszenz. Wenn also Kinder konsequent gerechtem Sprachgebrauch ausgesetzt sind, dann übernehmen sie das auch als Selbstverständlichkeit. Dafür müsste sich dieser Sprachgebrauch aber in der Sprache ihrer Umgebung, in den ihnen zugänglichen Medien und auch in Schulbüchern usw. wieder finden. Natürlich werden da einige aufschreien, ganz genau so wie beim Verschwinden des Wortes "Neger" aus Astrid Lindgren-Neuauflagen.[2] Aber wen stört's? Diejenigen, die die alten Begrifflichkeiten vorziehen, werden immer älter und sterben irgendwann aus.[3] Die nächste Generation wächst dann mit den neuen Formen und Begriffen auf und verwendet sie ganz ohne Zwang.

Also wenn schon predigen und werben, dann da wo es sinnvoll und zielführend ist: bei künftigen Eltern, bei Verlagen, bei Kindergärtner/innen und Lehrer/innen und denjenigen, die diese ausbilden, und natürlich bei denjenigen, die Lehrpläne und Curricula festlegen.
Fußnoten:
  1. spezifisches Maskulinum, weitgehend ohne "Mitgemeinte"
  2. Liest eigentlich noch wer Karl May? Der müsste diesbezüglich auch mal entrümpelt werden.
  3. Klingt zynisch, ist aber ganz natürlich so.
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#81
 
(19.04.2019, 11:13:24)Kevin schrieb: der Beitrag von Beyer hat mich schon genug getriggert und aufgeregt.

Na ja, zumindest hat Haspelmath in erwartungsgemäß sinnvoller und kenntnisreicher Weise geantwortet. Ich finde es auch interessant, welche Rolle die Chomsky-ianische Linguistik bei der Diskussion -- etwas unerwartet -- spielt. Insbesondere Beyers Antwort auf Haspelmath zeigt dann ja auch recht eindrucksvoll einen der Effekte solcher großen Theoriegebäude; in weiten Strecken wird mit Theorie-intern Begriffen und Argumenten operiert, so als wäre die Linguistik eine für sich stehende Formalwissenschaft, in der sich Schlüsse aus Axiomen ergeben und bei der die "real-weltliche Verankerung" (also die eigentlichen Sprachen) nur noch nebensächlich ist -- wenn überhaupt. Das ist aus meiner Sicht gerade bei dieser Thematik ziemlich fatal, da es ja eben um ganz konkreten Sprachgebrauch und dessen Wirkung auf andere geht.
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#82
 
Schlagabtausch der Konstanzer Emeriti: Frans Plank schlägt zurück: “Ist gendern bio?” auf https://dlc.hypotheses.org/1762

Auftakt:
Frans Plank schrieb:Wie jetzt bloß richtig gendern? – als ob sonst nichts los wäre, das ist Thema Nr. 1 im deutschen Blätterwald.  Allein die NZZ tritt auf die Bremse, in Sorge, was dem Idiom der Eidgenossen da womöglich auch bald noch drohe.  Unter Vermischtes aus dem Ausland lässt sie einen Emeritus aus Konstanz (für Sprachbiologie?) resigniert raten, es doch bitte bleiben zu lassen:  alle Liebesmüh um die Gender-gerechte Nachbesserung der deutschen Sprache sei sowieso vergeblich, weil gegen die Natur, eben nicht bio.

So schwarz würde ich jetzt aber nicht sehen.  Machen lässt sich da sicher was, und effektiver als die Zaunpfähle von Binnen-I’s, Schrägstrichen und Sternchen.  Aber wahrscheinlich halt auch nicht gleich alles:  die Kultur ist verspielt, aber nach den Regeln der Natur muss sie schon spielen.


[ ... ]

Finale furioso:
Frans Plank schrieb:Mit Genus-Wechsel darf natürlich keine Wertung als Norm und Abweichung, als allgemein und spezifisch mehr verbunden werden.  Im Bedarfsfall kann das Neutrum als Pejorativ dienen:  das Arzt, ein schlechter Arzt, ob weiblich oder männlich, wie punktuell auch jetzt schon üblich:  das (Sau-)Mensch.  Keine Genus-Unterscheidung weiterhin im Plural:  die Ärzte;  nur sollten da bessere Endungen gesucht werden, denn die Verwendung von Formen, die schon als Feminin Singular Dienst tun, stört das Gender-Gleichgewicht.  Der erforderliche Sprachwandel, um Genus-fixierte Substantive in Epizöna zu verwandeln, wird ungezwungener machbar sein als eine Gender-Umpolung.  Und ein paar Generationen abgewartet, dann ist im Epizön-Zeitalter die Erinnerung an Ungleichgewichtung unter den Genera erloschen.  Oder an Genera schlussendlich auch gleich ganz.  Welches Geschlecht wollte sich dem widersetzen?

So in der Art muss man sich das denken.  (Allfälliges Plagiieren meinerseits, noch nie ein origineller Denker, sei bitte entschuldigt.)  Von wegen, dass Gendern keine Perspektive hätte!  Statt der NZZ und ihren müden deutschen Herren Professoren lieber Le deuxième sexe mal wieder in die Hand genommen!  Das mit dieser Markiertheit, um die ein paar Exil-Russen so ein Aufhebens machten, dieser Jakobson (La cinquième fonction du langage!) und der Prinz Troubetzkoï, war Simone de Beauvoir noch nie ganz geheuer:  genau da, schien ihr, und Sartre war d’accord, lag der Hase nämlich im Pfeffer.
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#83
 
In einer Facebookdiskussion hat mir jemand vorgeworfen, ich würde durch Gendern den Frauen unterstellen, zu doof zu sein, sich nicht selbst im generativen Maskulinum finden zu können...
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#84
 
Experiment widerlegt Vorurteile über gendersensible Sprache – Eine Studie zeigt: Texte, in denen Frauen ausdrücklich zur Sprache kommen, sind nicht unverständlicher
Zitat:Eine Untersuchung des Instituts für Pädagogische Psychologie der TU Braunschweig hat nun mit einem Experiment gezeigt, dass diese "Gründe der Verständlichkeit" schlichtweg falsch sind. Für das Experiment wurde ein Stromliefervertrag eines deutschen Stromversorgers verwendet, der nur die männliche Form enthielt. In einer neuen Version dieses Vertrags wurde dieser um die weibliche Formulierung ergänzt, der "Kontoinhaber" wurde beispielsweise um die "Kontoinhaberin" ergänzt.

https://www.derstandard.at/story/2000106...le-sprache
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#85
 
Ein Beitrag von Helga Kotthoff: "Lieber gendersensibel als genderhypersensibel"
https://blog.degruyter.com/lieber-gender...rsensibel/

Teil einer Serie: https://blog.degruyter.com/tag/geschlech...e-sprache/
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#86
 
Via @lingucat auf LinkedIn

Wissenschaftler*innen antworten: Hat das Gendersternchen eine Zukunft?
Von Lukas Wessling
https://www.n-tv.de/panorama/Diskurs-ums...09239.html
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#87
 
Hey, kurze flotte Idee:
Ich habe nichts gegen die Genderzeichen bei Personenformen. Ich selbst benutze sie im Schreiben aber nicht im Sprechen, ich benutze die Doppelform. Dass dabei nicht-binäre ausfallen, das Problem ist mir bewusst, aber bisher gibt es da keine adäquate Lösung durch eine direkte Form, die nun gängig wäre. Eben dachte ich, kann man als galantere Lösung für solche, die sich mit der Glottislösung schwer tun, nicht etwas finden, dass statt "und" zwischen der Doppelform benutzt wird und aber auch andere Genders mit einbezieht? So etwas wie "Leser bis Leserinnen". Das ist genauso lang, genauso grammatisch nach Duden und semantisch vielleicht guterweise so fuzzy, dass es fast passen könnte?
Ich weiß, dass es einen binären Beigeschmack hat. Beim Sexus wäre es einfacher, die Bestimmung des Sexus ist bimodal (nicht binär) und die anderen biologischen Geschlechter lassen sich innerhalb des bimodalen Spektrums einordnen. Aber beim Gender geht es ja auch darüber hinaus, nicht teil eines bimodal Spektrums zu sein, oder sich überall zu verorten etc.
Würde euch eine Konjunktion einfallen, die vielleicht bei einer Doppelform binären Charakters diesen Beigeschmackt noch eher loslässt?
Ich finde "bis" ist der Idee einer Inklusion von nicht nur männlich und weiblich etwas besser als "und", auch weil es etwas vage ist. Vielleicht ist es gar nicht schlecht als Übergang. Was denkt ihr?
1
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#88
 
Mir (als nichtbinärer Person) gefällt die Idee ganz gut. ^^
"bis" repräsentiert das Spektrum für mein Gefühl sehr wirkungsvoll (hundertmal besser als "und", was m. E. nicht anders als binär interpretiert werden kann). 
"Lehrerinnen bis Lehrer" ist natürlich immer noch sperriger als "Lehrer*innen", aber in der gesprochenen Sprache könnte es durchaus eine mittelfristige Lösung sein für diejenigen, die den Glottisschlag ablehnen (was ich gut verstehen kann).
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#89
 
Aus gegebenem Anlass, und weil es einfach unerträglich ist, wenn unser Fach durch den reaktionären Kakao gezogen wird.

https://www.volksverpetzer.de/aktuelles/...tler-fake/

Zitat:GAB ES WIRKLICH 700 SPRACHWISSENSCHAFTLER GEGEN GENDERN?
von Florence Trübiger | Jul 3, 2023 | Aktuelles

In einem seltsam widersprüchlichen Argument versucht WELT „700 Sprachwissenschaftler“ zu präsentieren, die sich gegen das Gendern aussprechen, unter anderem, weil das so elitär sei. Doch hinter der vermeintlich erdrückenden Menge an Doktortiteln verstecken sich einige Personen, die doch recht wenig Expertise als deutsche Sprachwissenschaftler:innen haben dürften, wie Romanist:innen, Lateinphilolog:innen, auch Deutschlehrer:innen sind auf der Liste. Ein Kampf mit vorgeblicher wissenschaftlicher, fachlicher Autorität, gegen eine missliebige Entwicklung.
3
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#90
 
(05.06.2013, 15:22:31)JPL schrieb: @janwo bzgl. der Studie: das Beispiel "Gäste"/"Besucher" passt nicht ganz auf die Studie, denn dort ging es um die geschlechtliche Prägung von scheinbar inklusiven Berufsbezeichnungen. Gäste und Besucher sind von vornherein geschlechtlich neutraler bzw. ihre geschlechtliche Prägung wird mehr von dem Kontext dessen bestimmt, was sie besuchen

Heute las ich "Gästin".
Gibt es doch nun wirklich nicht (genauso wenig wie "Menschin"), oder?
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