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[Syn] Syntax, Phraseologie: 
nicht erledigt Infinitiv mit oder ohne zu
#1
nicht erledigt
 
Moin

Ich halte den folgenden Satz grammatisch für falsch. Zitat:
 
‚Die Aufgaben des Controllers sind die wirtschaftlichen Entwicklungen analysieren, die Verbesserungsmaßnahmen umsetzen, die betriebswirtschaftlichen Prozesse kontrollieren.‘
 
und plädiere für ‚Infinitive mit zu‘, also für Infinitivsätze.
 
Ich specke den Satz mal etwas ab, ohne das Wesentliche zu reduzieren:
 
‚Die Aufgaben sind die Entwicklungen analysieren, … (der Rest ist Enumeration)‘, also bleibt
 
‚Die Aufgabe ist die Entwicklung analysieren.‘
 
Ich würde mein Urteil wie folgt begründen:
 
Es handelt sich um einen Gleichsetzungsnominativ bzw. Prädikativ mit „ist“ als Kopulaverb, das ein Prädikativkomplement verlangt. 
Solche Komplemente können entweder
- Adjektive (die Aufgaben sind schwer)
- Adjektivgruppen (die Aufgaben sind sehr schwer)
- Nomen (die Aufgaben sind Mist)
- Nominalgruppen (die Aufgaben sind großer Mist) oder  
- Präpositionalgruppen (die Aufgaben sind zum Lachen)
sein.
Das gebeugte Kopulaverb ‚ist‘ kann aber nicht zusammen mit einem Infinitiv stehen, der ein Akkusativobjekt verlangt, wie

‚Die Aufgabe ist die Entwicklungen analysieren‘,

es sei denn, wir substantivieren das Verb und gebrauchen es ohne Objekt, also

‚Die Aufgabe ist Analysieren‘, 

womit wir ein Nomen als Komplement hätten.

Da das Kopulaverb an zweiter Stelle steht (Hauptsatz), erwarten wir eines der obigen Komplemente, aber kein ungebeugtes Verb mit Akkusativobjekt, denn es besteht keine Beziehung zwischen ‚sein‘ und einem Verb im Infinitiv (ist analysieren).
 
Ist diese Erklärung plausibel?
 
Um die fehlende Beziehung zu ersetzten, würde ich einen ‚Infinitiv mit zu‘ verwenden.
 
‚Die Aufgabe ist (es), die Entwicklung zu analysieren‘, wobei das Korrelat ‚es‘ weggelassen werden kann.
 
‚Die Aufgabe ist, die Entwicklung zu analysieren.‘
 
Wer/Was ist die Aufgabe?
 
‚Die Entwicklung zu analysieren‘ wäre dann wohl ein uneingeleiteter Subjektsatz mit Infinitiv, da er sich auf das Subjekt ‚die Aufgabe‘ bezieht, bzw. auf das Korrelat ‚es‘, wenn man es verwendet.
 
Richtig würde der vollständige Satz dann wie folgt lauten:
 
‚Die Aufgaben des Controllers sind (es) (,) die wirtschaftlichen Entwicklungen zu analysieren, die Verbesserungsmaßnahmen um-zu-setzten, und die betriebswirtschaftlichen Prozesse zu kontrollieren.‘
 
Findet das allgemeine Zustimmung?

(Oder ist etwa die obige Variante nach dem gegenwärtig üblichen Einknicken des Rechtschreibrates bei allen sich einschleichenden üblen Sprachgewohnheiten zulässig?)

Bin dankbar für Kommentare!  Lächel
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#2
 
Hallo! (:

Ich habe dazu nichts in meinem Zweifelsfälleduden oder online finden können. Hier daher erstmal meine Einschätzung ohne Garantie.


Matthias schrieb:Es handelt sich um einen Gleichsetzungsnominativ bzw. Prädikativ mit „ist“ als Kopulaverb, das ein Prädikativkomplement verlangt.
Solche Komplemente können entweder
- Adjektive (die Aufgaben sind schwer)
- Adjektivgruppen (die Aufgaben sind sehr schwer)
- Nomen (die Aufgaben sind Mist)
- Nominalgruppen (die Aufgaben sind großer Mist) oder 
- Präpositionalgruppen (die Aufgaben sind zum Lachen)
sein.
Das gebeugte Kopulaverb ‚ist‘ kann aber nicht zusammen mit einem Infinitiv stehen, der ein Akkusativobjekt verlangt, wie

Kannst Du für diese Aussage Quellen nennen? Ich habe nur im Wikipedia-Artikel „Prädikativum“ eine Aussage dazu finden können, welche Deiner eher widerspricht: „Ein solches Prädikativ kann mit praktisch allen Wortarten gebildet werden“


Matthias schrieb:Ich halte den folgenden Satz grammatisch für falsch. Zitat:

‚Die Aufgaben des Controllers sind die wirtschaftlichen Entwicklungen analysieren, die Verbesserungsmaßnahmen umsetzen, die betriebswirtschaftlichen Prozesse kontrollieren.‘

Ich finde den Satz stilistisch etwas holprig und würde ihn in dieser Form auch mit zu erweitern. Er liest sich für mich, als wäre er als Liste konzipiert worden:

Zitat:Die Aufgaben des Controllers sind:
  • die wirtschaftlichen Entwicklungen analysieren
  • die Verbesserungsmaßnahmen umsetzen
  • die betriebswirtschaftlichen Prozesse kontrollieren

In Listenform fände ich zu-Infinitive unpassender als reine Infinitive.


Matthias schrieb:Ich halte den folgenden Satz grammatisch für falsch. […] (Oder ist etwa die obige Variante nach dem gegenwärtig üblichen Einknicken des Rechtschreibrates bei allen sich einschleichenden üblen Sprachgewohnheiten zulässig?)

Es ist in der Linguistik mehr oder weniger Konsens, dass es in der Sprache nicht strikt ein „Richtig“ und „Falsch“ gibt, sondern dies lediglich Konstrukte sind, die aus der Bemühung entstehen, einen bestimmten Dialekt zu normieren und somit zu konservieren. Populäre Konzepte wie „Sprachverfall“, „Fehler“, „sich einschleichende üble Sprachgewohnheiten“ sind nicht wissenschaftlich. Sie werden „Präskriptivismus“ genannt, im Gegensatz zum wissenschaftlichen „Deskriptivismus“.

Sprache wandelt sich seit jeher, das kann (und sollte) ein Rechtschreibrat nicht aufhalten. Zumal weder der Rechtschreibrat noch irgendeine andere Institution die Grammatik des Deutschen normiert – lediglich Orthographie und Interpunktion.

Wenn in der Linguistik gefragt wird, ob ein Ausdruck grammatisch ist, geht es nicht um eine willkürliche Festlegung von oben, sondern darum, ob dieser Ausdruck von Muttersprachler*innen verwendet wird. Niemand würde den Artikel dem Substantiv nachstellen und „Aufgaben die“ sagen, das ist ungrammatisch, auch aus linguistischer Sicht. Aber wenn es Menschen gibt, die prädikative Infinitive ohne zu verwenden (was es offensichtlich gibt), ist das in dieser Hinsicht nicht falsch.

Es gibt durchaus Kontexte, in denen derartige Normierungen hilfreich (vielleicht sogar nötig) sind. Deutsch als Fremdsprache zu lehren wäre zum Beispiel bedeutend schwieriger, wenn es keine einheitliche Norm gäbe. Und aufgrund der gesellschaftlichen Stigmatisierung grammatisch „falscher“ Ausdrücke ist es (noch) sinnvoll, Publikationen dieser Norm anzupassen (sprich: sie korrekturlesen zu lassen). Aber wenn Du wissen willst, ob ein Satz der Duden-Grammatik entspricht, würde ich an Deiner Stelle nicht in einem Linguistik-, sondern in einem Lektorats-/Korrektorats-Forum fragen.


Liebe Grüße
Yaouoay
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#3
 
(10.07.2024, 16:00:17)Yaouoay schrieb: Hallo! (:

Moin Yaouoay,

Ich habe dazu nichts in meinem Zweifelsfälleduden oder online finden können. Hier daher erstmal meine Einschätzung ohne Garantie.


Matthias schrieb:Es handelt sich um einen Gleichsetzungsnominativ bzw. Prädikativ mit „ist“ als Kopulaverb, das ein Prädikativkomplement verlangt.
Solche Komplemente können entweder
- Adjektive (die Aufgaben sind schwer)
- Adjektivgruppen (die Aufgaben sind sehr schwer)
- Nomen (die Aufgaben sind Mist)
- Nominalgruppen (die Aufgaben sind großer Mist) oder 
- Präpositionalgruppen (die Aufgaben sind zum Lachen)
sein.
Das gebeugte Kopulaverb ‚ist‘ kann aber nicht zusammen mit einem Infinitiv stehen, der ein Akkusativobjekt verlangt, wie

Kannst Du für diese Aussage Quellen nennen? Ich habe nur im Wikipedia-Artikel „Prädikativum“ eine Aussage dazu finden können, welche Deiner eher widerspricht: „Ein solches Prädikativ kann mit praktisch allen Wortarten gebildet werden“

Die Quelle für die Komplemente sind
https://grammis.ids-mannheim.de/terminologie/202
und
https://grammis.ids-mannheim.de/progr@mm/6885
Bei letzterem Link musst Du den Lösungsabschnitt aufklappen.

Dass das Kopulaverb 'sein' nicht mit einem Infinitiv stehen kann (im Gegensatz z.B. zu Modalverben), habe ich selbst geschlussfolgert, weil es sich seltsam bei allen denkbaren Beispielen anhört, z.B. 'etwas ist Berichte schreiben', allein als Satzklammer
|Er|
ist | |Mittelfeld| |machen|
anders bei Modalverben, die keine Kopluaverben sind
|Er| muss | |Mittelfeld| |machen|
wirkt auf uns wohl befremdlich, weil wir eben 'gewohnheitsmäßig' die oben genannten Komplemente erwarten.
Dieses befremdliche Stutzen Confused habe ich versucht zu beschreiben bzw. zu begründen.

Irgendetwas in mir schrie nach einem "zu"! Eek!

Matthias schrieb:Ich halte den folgenden Satz grammatisch für falsch. Zitat:

‚Die Aufgaben des Controllers sind die wirtschaftlichen Entwicklungen analysieren, die Verbesserungsmaßnahmen umsetzen, die betriebswirtschaftlichen Prozesse kontrollieren.‘

Ich finde den Satz stilistisch etwas holprig und würde ihn in dieser Form auch mit zu erweitern. Er liest sich für mich, als wäre er als Liste konzipiert worden:

Genau das war auch mein Gedanke beim erstmaligen Lesen, dass dem Verfasser (ein Schüler) eine Liste wie auf einer Powerpoint-Präsentation oder einem Handout etc. vorschwebt,.

Zitat:Die Aufgaben des Controllers sind:
  • die wirtschaftlichen Entwicklungen analysieren
  • die Verbesserungsmaßnahmen umsetzen
  • die betriebswirtschaftlichen Prozesse kontrollieren

In Listenform fände ich zu-Infinitive unpassender als reine Infinitive.

 Aber es sollte ausdrücklich ein Fließtext wie in einem Aufsatz sein!

Was in uns schreit nach einem "zu"?


Matthias schrieb:Ich halte den folgenden Satz grammatisch für falsch. […] (Oder ist etwa die obige Variante nach dem gegenwärtig üblichen Einknicken des Rechtschreibrates bei allen sich einschleichenden üblen Sprachgewohnheiten zulässig?)

Es ist in der Linguistik mehr oder weniger Konsens, dass es in der Sprache nicht strikt ein „Richtig“ und „Falsch“ gibt, sondern dies lediglich Konstrukte sind, die aus der Bemühung entstehen, einen bestimmten Dialekt zu normieren und somit zu konservieren. Populäre Konzepte wie „Sprachverfall“, „Fehler“, „sich einschleichende üble Sprachgewohnheiten“ sind nicht wissenschaftlich. Sie werden „Präskriptivismus“ genannt, im Gegensatz zum wissenschaftlichen „Deskriptivismus“.

Sprache wandelt sich seit jeher, das kann (und sollte) ein Rechtschreibrat nicht aufhalten. Zumal weder der Rechtschreibrat noch irgendeine andere Institution die Grammatik des Deutschen normiert – lediglich Orthographie und Interpunktion.

Wenn in der Linguistik gefragt wird, ob ein Ausdruck grammatisch ist, geht es nicht um eine willkürliche Festlegung von oben, sondern darum, ob dieser Ausdruck von Muttersprachler*innen verwendet wird. Niemand würde den Artikel dem Substantiv nachstellen und „Aufgaben die“ sagen, das ist ungrammatisch, auch aus linguistischer Sicht. Aber wenn es Menschen gibt, die prädikative Infinitive ohne zu verwenden (was es offensichtlich gibt), ist das in dieser Hinsicht nicht falsch.

Es gibt durchaus Kontexte, in denen derartige Normierungen hilfreich (vielleicht sogar nötig) sind. Deutsch als Fremdsprache zu lehren wäre zum Beispiel bedeutend schwieriger, wenn es keine einheitliche Norm gäbe. Und aufgrund der gesellschaftlichen Stigmatisierung grammatisch „falscher“ Ausdrücke ist es (noch) sinnvoll, Publikationen dieser Norm anzupassen (sprich: sie korrekturlesen zu lassen). Aber wenn Du wissen willst, ob ein Satz der Duden-Grammatik entspricht, würde ich an Deiner Stelle nicht in einem Linguistik-, sondern in einem Lektorats-/Korrektorats-Forum fragen.

Der letzte Satz vom mir war nur Gemecker über den allgemeinen Sprachverfall. Ich könnte dazu noch weitere Beispiele bringen, z.B. warum 'am nächsten' der Superlativ von 'nah' ist, habe aber nicht die Zeit. Vielleicht gehe ich dann wirklich in ein anderes Forum, mir geht es nur darum, was nach den aktuell geltenden Regeln als richtig oder falsch gilt.


Liebe Grüße
Yaouoay

Danke gleichfalls!
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#4
 
Zitat:Dass das Kopulaverb 'sein' nicht mit einem Infinitiv stehen kann (im Gegensatz z.B. zu Modalverben), habe ich selbst geschlussfolgert, weil es sich seltsam bei allen denkbaren Beispielen anhört, z.B. 'etwas ist Berichte schreiben'

Ich finde, „Ihre Aufgabe ist Berichte schreiben.“ klingt okay und in der Alltagssprache sogar weniger markiert als „Ihre Aufgabe ist es, Berichte zu schreiben“. In einem Schulaufsatz fände ich hingegen Letzteres stilistisch angemessener. Für mich ist das weniger eine Frage von Grammatikalität als von Stil.

Zitat:weil es sich seltsam bei allen denkbaren Beispielen anhört, z.B. 'etwas ist Berichte schreiben', allein als Satzklammer
|Er||  ist | |Mittelfeld| |machen|

„Simon war gestern“ ist auch kein sinnvoller Satz, „Das Fest war gestern“ hingegen schon. 


Zitat:Der letzte Satz vom mir war nur Gemecker über den allgemeinen Sprachverfall.

Nochmal: So etwas wie Sprachverfall gibt es wissenschaftlich betrachtet nicht. Was Du meinst, ist ganz natürlicher, geradezu zahmer Sprachwandel. Und ich bin mir noch nicht einmal sicher, ob es eine neue Entwicklung ist, dass reine Infinitive ohne zu das Prädikativum von Kopulaverben bilden können.


Zitat:Dieses befremdliche Stutzen [Bild: https://www.linguisten.de/images/smilies/confused.gif] habe ich versucht zu beschreiben bzw. zu begründen.

Das ist schon eher ein linguistischer Ansatz, wenn auch eine repräsentative Befragung oder eine Korpusanalyse sehr viel zuverlässiger sind als das Sprachgefühl eines einzigen Muttersprachlers.
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