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Pronomen/Geschlecht: weiblich
01.04.2020, 14:18:54
(Dieser Beitrag wurde zuletzt bearbeitet: 01.04.2020, 15:09:58 von Kevin.
Bearbeitungsgrund: [i](Mod-Edit: Ich habe einmal die Textformatierung herausgenommen.)[/i]
)
Hallo zusammen,
kann mir jemand erklären warum das deutsche Schriftsystem auf Phonem-Graphem-Korrespondenzen basiert und nicht auf Phon-Graphem-Korrespondenzen?
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Pronomen/Geschlecht: Jim
01.04.2020, 15:55:15
(Dieser Beitrag wurde zuletzt bearbeitet: 01.04.2020, 16:03:30 von Jim Asmussen.)
Hallo,
im Hinblick auf die Graphem-Phonem-Korrespondenz gilt es zu beachten, dass sie uns in keinem (quasi-)kausalem Verhältnis gegeben ist. Daraus folgt unter anderem, dass das deutsche Schriftsystem nicht auf der Phonem-Graphem-Korrespondenz basiert. Dass es eine empirische Beziehung zwischen Graphem und Phonem sowie etablierte distributionelle Methoden (Minimalpaaranalyse) gibt, ist zwar unumstritten Erklärungadäquat, aber wie diese Verhältnismäßigkeit qualitativ zu beschreiben ist, ist immer noch ein ungeklärte Frage in aktueller Phonologie- und Schriftforschung. Zum Beispiel besteht hinsichtlich des Graphem als historischen,- schrift und systemtheoretischen Begriff Uneinigkeit in der Schriftsystem- und Phonologieforschung. Darüber hinaus besteht - zumindest Einigkeit - über die empirische Analogizität von Graphem und Phonem. Wie diese Beziehung unter Gesichtspunkten von Materialität, Medialität und/oder Performanz zu beurteilen ist, wird noch diskutiert. Für weiterführendes Studieninteresse: gerne Nachricht an mich.
Zur Frage konkret: kanonische Nominaldefinitionen und Operationalisierungen im Kontext der Linguistik operieren über den Phonembegriff (nicht Phon-), weil die Bedingungen von Realisierungsform (konkret; phon/graph) und System (abstrakt; phonem/graphem) hinsichtlich ihrer Parallelität (Analogie und Opposition) rekonstruiert werden, um Rückschlüsse auf das deutsche Sprach- und Schriftsystem im Verhältnis zueinander zu erhalten. Diese Antwort ist bei weitem nicht erschöpfend, daher gerne ruhig Anschlussfragen stellen.
Viele Grüße
Jim
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Pronomen/Geschlecht: weiblich
Hallo zusammen,
den Unterschied zwischen Phon und Phonem merke ich mir so:
Ein Phonem ist nicht der Laut selbst, sondern eine Gruppe von Lauten, die sehr ähnlich klingen. Also von den Einzellauten abstrahierte Einheiten und somit keine physischen Laute im eigentlichen Sinn. Sie müssen somit durch entsprechende Allophone realisiert werden.
Ich hoffe, dass die Erklärung soweit korrekt ist.
Leider bekomme ich aber nicht den Dreh von dieser Erklärung zu Aussagen, welche dafür argumentieren, dass das Schriftsystem auf Phonem-Graphem-Korrespondenzen basiert. Vermutlich stehe ich nur auf dem Schlauch, aber ich finde trotz tagelangem Googlen, da unsere Bib wegen der aktuelle Situation leider geschlossen ist, keine vernünftige Erklärung.
Lieben Dank für die bisherigen und folgenden Antworten!
Liebe Grüße
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Zitat:den Unterschied zwischen Phon und Phonem merke ich mir so:
Ein Phonem ist nicht der Laut selbst, sondern eine Gruppe von Lauten, die sehr ähnlich klingen. Also von den Einzellauten abstrahierte Einheiten und somit keine physischen Laute im eigentlichen Sinn. Sie müssen somit durch entsprechende Allophone realisiert werden.
Hallo,
das kommt zumindest in die richtige Richtung, ist aber nicht genau der Kernpunkt bei den beiden Begriffen. Bei einem "Phon" geht es um die konkrete Artikulation eines Lautes, bei einem "Phonem" geht es um die Funktion eines Lautes in einer Sprache. Im Deutschen zum Beispiel, wären theoretisch je nach Akzent (auch ausländische Lernerakzente) freilich [ɾ, ɹ, ʁ, ʀ] möglich in dem Wort "Ratte". Das heißt, egal welchen konkreten Laut, welches konkrete Phon, man nimmt, sie haben keinerlei unterschiedliche Funktion in der deutschen Sprache, weil die Wahl keine Bedeutung unterscheidet. Deswegen sind sie, wie du schon sagtest, allesamt Allophone, eines abstrakten Funktionselementes, das für das Deutsche als / ʁ/ bezeichnet wird. Das heißt, [ɾ, ɹ, ʁ, ʀ] sind vier Phone, aber da sie die gleiche Funktion erfüllen, sind sie ein Phonem, nur vier verschiedene Ausgestaltungen/Allophone dieses Phonems. Denn: Ein Phonem ist die kleinste bedeutungsunterscheidende Einheit. Das tun sie hier nur in der Gemeinsamkeit eines abstrakten Phonems /ʁ/. Im Spanischen ist es zum Beispiel anders, da werden <pero> und <perro> unterschieden: /pɛɾo/ vs. /pɛro/. Das heißt, während im Deutschen die obigen "r"-Laute allesamt Allophone eines Phonems sind, ist die gleiche Aufteilung für andere Sprachen nicht die gleiche.
Das heißt: Ein Phon ist zum einen der konkrete Laut, der gesprochen wird, unabhängig der Funktion zur Bedeutungsunterscheidung in einem Sprachsystem, und zum anderen eine der Aussprachvarianten eines Phonems, ohne dass die Bedeutung unterschieden wird. Dahingegen ist ein Phonem die abstrakte Gesamheit von Allophonen, die allesamt die gleiche Bedeutungsunterscheidung in einer Sprache vornehmen. Im Hawaiischen zum Beispiel können diverseste Laute Allophone sein: [t], [d], [s], [z], [ts], [dz], [c], [ɟ], [ʃ], [ʒ], [tʃ], [dʒ], [ɡ], [x], [ɣ] sind alles Phone (genauso wie sie es im Deutschen wären, da es um die konkrete, sprachunabhängige Klangäußerung geht, die Phonetik), sie sind aber gleichzeitig allesamt Allophone von einem abstrakten Phonem /k/. Das heißt, in einem Wort wie "kiki" könntest du das /k/ durch all die Phone austauschen und würdest die Bedeutung aber nicht verändern. Daran sieht man, dass es bei Allophonen nicht unbedingt um die Ähnlichkeit vom Klang geht, sondern darum, dass sie allesamt als dasselbe abstrakte Funktionselement/Phonem die gleiche Funktion erfüllen. Deshalb ist das bekannte "Mele Kalikimaka" auch die eingehawaiischte Klangform vom amerikanischen "Merry Christmas".
Ich hoffe, das hat ein wenig geholfen.
Viele Grüße,
Kevin
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Pronomen/Geschlecht: Jim
(02.04.2020, 13:09:56)Lucky1403 schrieb: Hallo zusammen,
den Unterschied zwischen Phon und Phonem merke ich mir so:
Ein Phonem ist nicht der Laut selbst, sondern eine Gruppe von Lauten, die sehr ähnlich klingen. Also von den Einzellauten abstrahierte Einheiten und somit keine physischen Laute im eigentlichen Sinn. Sie müssen somit durch entsprechende Allophone realisiert werden.
Ich hoffe, dass die Erklärung soweit korrekt ist.
Leider bekomme ich aber nicht den Dreh von dieser Erklärung zu Aussagen, welche dafür argumentieren, dass das Schriftsystem auf Phonem-Graphem-Korrespondenzen basiert. Vermutlich stehe ich nur auf dem Schlauch, aber ich finde trotz tagelangem Googlen, da unsere Bib wegen der aktuelle Situation leider geschlossen ist, keine vernünftige Erklärung.
Lieben Dank für die bisherigen und folgenden Antworten!
Liebe Grüße
Vorab: das ist eine gute Frage. Eine Kritik, die auf wesentliche Aspekte der sprachwissenschaftlichen Dependenz- und Autonomiehypothese eingeht. Um der Frage gerecht zu werden, probiere ich es nochmal und positioniere mich im Folgenden gegen meine vorherige Begriffsbestimmung, um deine Frage (hoffentlich) zu beantworten. Deine Frage bezieht sich darauf, welche Argumente für ein Schriftsystem sprechen, das auf Phonem-Graphem-Korrespondenzen basiert. Als ersten Schritt müsste man davon ausgehen, dass die Schrift ein abgeleitetes, sekundäres Zeichensystem sei, dass zur Repräsentation und Fixierung der gesprochenen Sprache diene. Darauffolgend gilt es zu wissen, dass das Grapheminventar analog zum Phoneminventar konstruiert wird, um sich daraufhin in Korrespondenzen von Phonem und Graphem zu erschöpfen. Das Ergebnis sind Phonem-Graphen-Korrespondenzen. Infolgedessen segmentiert man graphematische Formen mithilfe der Substitutionsmethode durch Minimalpaarbildung (Minimalpaaranalyse) und erhält die Grapheme als kleinste bedeutungsunterscheidende (segmentale) Einheit der Formseite von geschriebenen Wörtern. Der angehende oder praktizierende Linguist (oder linguistisch Interessierte) ist in der Lage, das distributionelle Verfahren (Minimalpaaranalyse) zu nutzen, um auf die prinzipiell selbe Art und Weise ein Phoneminventar zu ermitteln. Das ist die empirische Begründung, warum es überhaupt möglich ist, graphematische und phonologische Formen mit einem äquivalenten Status auszuzeichnen. Zurück zur ersten Annahme: das Graphem stellt (in Alphabetschriften) die schriftliche Repräsentation des Phonems dar. Würde man von nun einem „Primat des Phonems“ ausgehen, dann könnte man nun nur Konsequenz gelangen, dass das Schriftsystem auf Phonem-Graphem-Korrespondenzen basiert, weil gesprochene Formen durch geschriebene Formen fixiert werden.
Das ist eine verkürzte Darstellung, die lediglich einem didaktischen Zweck dient und nicht ohne Kritik und/oder Erweiterung hinzunehmen ist. Des Weiteren ist diese Veranschaulichung unlängst nicht mehr Konsens in aktueller Phonologie- und Schriftsystemforschung. Ich hätte eine ganze Kaskade an Literaturempfehlung, um dir bibliografisch etwas zu helfen (Achtung: Implikatur).
Viele Grüße
Jim
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Lieben Dank an alle
Herzliche Grüße!
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