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Erledigt: 01.07.2018, 18:21:10 Rumänische Sprache ohne römischen Einfluss enstanden?
#1
Erledigt: 01.07.2018, 18:21:10
 
Guten Abend,

aufgrund, einer mir sehr am Herzen liegenden Frage, habe mich extra in diesem Forum registriert und hoffe hier auf Antworten zu finden.

Ich schreibe eine kurze Anleitung, wer gleich zur Fragen springen will, kann dies durch natürlich auch gleich machen. Der erste Satz, wo meine Frage beginnt, ist unterstrichen. Verzeiht mir außerdem meine wohl schlampige Grammatik und Rechtschreibung, vor allem in einem Lingustikforum werden viele sauer Aufstoßen müssen Eek!

Da ich seit meiner Kindheit "scharf" auf meine antike Abstammung bin und lange Zeit blind der Dako-romanischen Kontinuitätstheorie gefolgt bin, glaube ich immer weniger daran.
Das Hauptargument ist wohl dass die Römer die dakische Provinz für nicht mehr als 170 Jahre inne hatten. Nach dieser relativ kurzen Zeit, haben sie wie gesagt das Land aufgegeben und haben zum Teil die römische Bevölkerung evakuiert.

Auch wenn die Abstammung nicht wichtig ist, weil jeder Mensch den selben Wert hat (egal ob Germane, Römer, Grieche, Araber oder sonst was), möchte ich trotzdem wissen was genau mein Ursprung ist.
Mittlerweile bin ich der Meinung das mein Ursprung wohl das alte Volk der Thraker ist, um genauer gesagt der thrakische Stamm die Daker, dessen Selbstbezeichnung nicht bekannt ist da ja das thrakische eine schriftlose Sprache war und die Römer die Provinz schlicht Dacia (=Daker, und ja daher auch der Name der rumänischen Automarke :P ) nannte.

Grundsätzlich gehe ich davon aus dass die rumänische Kultur vom Dakischen abstammt und deswegen auch unsere Selbstbezeichnung (Rumänien, Rumänen) stark irreführend ist und eher darauf fußt dass man sich mit etwas starken, glorreichen Identifizieren wollte und da man ohnehin eine lateinische Sprache sprach und irgendwann mal von den Römern besetzt war, dies auch leicht gelang.
Auch das germanische Gebiet wurde von den Römern zum Teil annektiert, trotzdem ist es jedem geläufig dass man als Deutscher von Germanen abstammt und nicht von den Römern. So bin ich der Meinung dass die Rumänen eben von den Dakern abstammen.
Oder kurz gesagt, wie der Proto-Deutsche kein Römer war so war es auch nicht der Proto-Rumäne.

Gerne lasse ich mich hier berechtigen, was der Ursprung der Rumänen ist. Da meine Argumente nicht bzw. nur zum Teil auf wissenschaftlichen Fakten fußt.

Wie dem auch sei.
Bei meinen Recherchen zum Thema Rumänien, Rumänen und die rumänische Sprache, bin ich drauf gestoßen dass es eigentlich kaum möglich ist dass die Daker bzw. das Volk was auf dem rumänischen Gebiet verweilt ist nach dem Abzug der Römer, innerhalb von 170 Jahren romanisiert wurde und ihre eigentliche Sprache durch das Vulgärlatein ersetzt wurde und sich das im Laufe der Jahrhunderte in das Rumänisch entwickelt hat welches heute gesprochen wird.

Normalerweise dauert es eine längere Zeitspanne an bis eine eingesessene Kultur durch eine andere ersetzt wird.
Wie kann es also sein dass es eine romanische Insel in einem slawischen Meer gibt (die Nachbarn Rumänien sind alle slawisch, bis auf Ungarn)?

Logisch wäre es, dass von den Draker vor den Römern bereits eine romanische Sprache gesprochen wurde. Weil aber die Draker ein thrakischer Stamm war, kann das ja eigentlich auch nicht sein weil das Thrakische ein eigener Zweig des Indoeuropäischen ist!

Ich möchte hier nicht allgemein Anzweifeln dass das Rumänische von dem Lateinischen abstammt, überhaupt nicht! Sondern dass schon vorher eine rumänische Sprache gesprochen wurde.
Wobei ich hier schon vor längere Zeit auf einen rumänischen Artikel gestoßen bin, wo ein Mitarbeiter des Vatikans, der Zugang zur geschlossene Abteilung der vatikanischen Bibliothek hat (sofern es diese überhaupt gibt), behauptet dass das Lateinische vom Rumänischen abstammt und nicht umgekehrt. Zufällig hab ich heute sogar ein Video davon gefunden. Wobei das nur am Rande erwähnt sein soll, weil glauben tu ich dem selbst nicht so wirklich bis gar nicht. :D

Könnt ihr mir da bitte weiterhelfen? Wie ihr seht bin ich in diesem Gebiet äußert ungebildet und zur Zeit auch sehr verwirrt weswegen es sein kann dass ich die falsche Schlüsse ziehe bzw. da einiges durcheinander bringe.

Ich wäre für eine Aufklärung äußerst dankbar und verbleibe mit freundlichem Gruß


-theolos
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#2
 
Die Argumentation in dem Video ist ein bisschen "kurz" ausgefallen; das einzige, was mir als möglicherweise dahinterstehende Idee einfällt, ist, dass die italischen Stämme (Latiner/Römer und die näher verwandten Osker, Umbrer etc.) nach einer etablierten These aus dem Balkan/Südosteuropa sukzessive auf die Apennin-Halbinsel eingewandert sind. Das passt aber weder chronologisch noch basiert das Rumänische auf dem (Vor-)Uritalischen, sondern geht linguistisch ganz klar auf das Vulgärlateinische zurück. Insofern ist deine Skepsis gegenüber ominösen Youtubevideos und angeblichen, unzugänglichen vatikanischen Quellen berechtigt.

Die Frage der Kontinuität der Romanischsprachigkeit im späteren Sprachgebiet des Dakorumänischen ist hingegen tatsächlich eine in der Wissenschaft nach wie vor kontrovers diskutierte Frage.

Folgende Bedenken, die z.T. über den Wikipedia-Artikel, den du anführst, hinausgehen und die jeder Hypothesenbildung voranstehen sollten, möchte ich für's Erste zu deinen interessanten Ausführungen anbringen:
- Woher und mit welcher Sicherheit wissen wir, dass nach 270 n. tatsächlich alle Römer abgezogen sind?
- Worauf basiert die These, dass 170 Jahre nicht zum Etablieren der Dominanz einer Sprache genügen?
- Sind die Begriffe "Sprache", "Kultur" und "Volk" gleichzusetzen? Basieren einige davon vielleicht auf weniger harten Fakten sondern auf Selbst- und Fremdbildern?
- Was wissen wir überhaupt über die Sprache(n) und Kulture(n) der Daker und Thraker? Handelt es sich überhaupt um homogene Völker/Nationen?
- Was wissen wir mit welcher Sicherheit über die Zeit zwischen 270 n. und dem dem ältesten rumänischen Sprachdenkmal von 1521, vor allem in Bezug auf die sprachliche Situation von Südosteuropa?
- Wie lange ist für dich eine Sprache noch dieselbe Sprache? (Du behauptest, dass vor dem Lateinischen, aus dem das Rumänische hervorgegangen ist, bereits ein "Rumänisch" gesprochen wurde: Was macht diese Sprache "rumänisch"?)
- Wie sehr sind die konkurrierenden Hypothesen (mit den Extrem-Polen Kontinuität vs. mittelalterliche Migration im Rahmen der Transhumanz) oder die daraus entstandenen Diskussionen von außer-wissenschaftlichen Motiven geprägt?

Jedenfalls ein sehr spannendes Thema! Ich werde heute Abend ältere Vorlesungsmitschriften nach genaueren Argumenten und Literaturhinweisen konsultieren.
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#3
 
(19.03.2016, 14:55:30)wortigkeit schrieb: Die Argumentation in dem Video ist ein bisschen "kurz" ausgefallen; das einzige, was mir als möglicherweise dahinterstehende Idee einfällt, ist, dass die italischen Stämme (Latiner/Römer und die näher verwandten Osker, Umbrer etc.) nach einer etablierten These aus dem Balkan/Südosteuropa sukzessive auf die Apennin-Halbinsel eingewandert sind. Das passt aber weder chronologisch noch basiert das Rumänische auf dem (Vor-)Uritalischen, sondern geht linguistisch ganz klar auf das Vulgärlateinische zurück. Insofern ist deine Skepsis gegenüber ominösen Youtubevideos und angeblichen, unzugänglichen vatikanischen Quellen berechtigt.

Erstmal möchte ich mich bedanken dass du meinen ganzen Text gelesen hast :)

Zum Video von dem Vatikantypen:
Sogar sehr kurz. Ich fand es lustig und wollte das mit euch teilen, da die Wahrscheinlichkeit dass das stimmt eher gegen 0 tendiert.

(19.03.2016, 14:55:30)wortigkeit schrieb: Die Frage der Kontinuität der Romanischsprachigkeit im späteren Sprachgebiet des Dakorumänischen ist hingegen tatsächlich eine in der Wissenschaft nach wie vor kontrovers diskutierte Frage.

Folgende Bedenken, die z.T. über den Wikipedia-Artikel, den du anführst, hinausgehen und die jeder Hypothesenbildung voranstehen sollten, möchte ich für's Erste zu deinen interessanten Ausführungen anbringen:
- Woher und mit welcher Sicherheit wissen wir, dass nach 270 n. tatsächlich alle Römer abgezogen sind?

Es wurde nicht alle Römer abgezogen. Es blieben mehrere tausend römische Bürger zurück, doch reichten diese um ein ganzes Volk zu romanisieren? Vielleicht gefiel den Dakern ja sogar das lateinische so sehr, dass sie ihre alte Sprache aufgegeben haben und das Lateinische übernommen haben.

(19.03.2016, 14:55:30)wortigkeit schrieb: - Worauf basiert die These, dass 170 Jahre nicht zum Etablieren der Dominanz einer Sprache genügen?

Durch die Geschichte. In manchen, durch die Römer eingenommen, Gebieten dauerte die Romanisierung länger als 600 Jahre und war dann auch trotzdem nicht abgeschlossen bzw. zur vollsten Zufriedenheit durchgeführt.

(19.03.2016, 14:55:30)wortigkeit schrieb: - Sind die Begriffe "Sprache", "Kultur" und "Volk" gleichzusetzen? Basieren einige davon vielleicht auf weniger harten Fakten sondern auf Selbst- und Fremdbildern?

Ich habe bewusst diese Wörter mehr oder weniger vermischt.
Wenn in einem Gebiet die Bräuche von z.b. den Römern gepflegt werden, so haben die Leute dort eine römische Kultur. Übernehmen sie dann die Bräuche eines slawischen Volkes und vermischen sie mit den römischen ergibt sich daraus eine Mischkultur. Sollten das aber nicht passieren, sondern entwickeln sie die Kultur selbst weiter, so entwickelt sich die römische Kultur weiter und wird mit der Zeit zur einer eigenen Kultur mit römischen Hintergrund.

Im Grunde genommen gibt es heute kein homogenes Volk, wie es auch keine homogene Sprache gibt (außer isolierte Sprachen).
Unser heutiger Zustand ist eine Vermischung von allem.
Das Wort Volk ist für mich eher subjektiv und nicht objektiv. In meiner Abstammungslinie gibt es einen Ursprung aus einem gewissen Volk (vielleicht war der Gründer meiner Linie ein dakischer Bauer aber vielleicht auch römischer Legionär oder sogar ein osmanischer Besatzer der dann im heutigen Rumänien geblieben ist).
Das ich von einem Afrikaner abstammte ist mir natürlich klar, aber was der heutige Haupteinfluss? Mit welchem Urvolk ähneln meine Gene am meisten?
Die Vorstellung dass alle Italiener von den Römern, alle Deutsche von den Germanen, usw. abstammen ist wissenschaftlicher Mumpitz und nationalistische Propaganda.

Und zur Sprache:
Das Rumänische hat Wörter aus dem Slawischen, dem Griechischen, dem Türkischen (sehr wenig) und auch aus dem Deutschen (vor allem durch die K. u. K Monarchie, und eher "neue" Wörter wie Schraubenzieher, Bohrmaschine usw.) übernommen und in ihre Sprache verwendet. Und das ist bei allen Sprache passiert (außer wie bei besagten isolierten Sprachen. z.b. Koreanisch wobei auch hier heutzutage andere Entwicklungen zu verzeichnen sind da diese nicht mehr isoliert ist)

(19.03.2016, 14:55:30)wortigkeit schrieb: - Was wissen wir überhaupt über die Sprache(n) und Kulture(n) der Daker und Thraker? Handelt es sich überhaupt um homogene Völker/Nationen?

Die Thraker selbst waren nie ein vereintes Volk. Sie betrieben Ackerbau und Viehzucht und hatten eine gemeinsame Sprache mit regionalen Unterschiede.
Ein Zitat über die Thraker:
„Das thrakische Volk ist nach dem indischen das größte der Erde. Wäre es einig und hätte es nur einen Herrscher, so wäre es unbesiegbar und meiner Meinung nach bei weitem das mächtigste Volk, das es gibt.“ - Herodot

(19.03.2016, 14:55:30)wortigkeit schrieb: - Was wissen wir mit welcher Sicherheit über die Zeit zwischen 270 n. und dem dem ältesten rumänischen Sprachdenkmal von 1521, vor allem in Bezug auf die sprachliche Situation von Südosteuropa?

Kaum etwas. Man nimmt an dass sich die Daker von der römischen Kultur wohl entfernten und sich eher dem thrakischen orientierten. Schließlich entstanden im 14 Jh. die Fürstentümern die später das heutige Rumänien bilden. Das Hauptproblem ist, dass die proto-rumänische Kultur immer wieder von anderen unterdrückt wurde (Ungarn, Osmanen, Österreich) und uns daher ihre früheren Fragmente nicht eindeutig zu Verfügung stehen.

(19.03.2016, 14:55:30)wortigkeit schrieb: - Wie lange ist für dich eine Sprache noch dieselbe Sprache? (Du behauptest, dass vor dem Lateinischen, aus dem das Rumänische hervorgegangen ist, bereits ein "Rumänisch" gesprochen wurde: Was macht diese Sprache "rumänisch"?)

Ich gehe nicht davon aus dass vor dem Lateinischen eine rumänische Sprache gesprochen wurde, sondern nehme an oder besser gesagt, ich stelle die Hypothese in dem Raum, dass bereits vor den Römern von den Daker eine romanische Sprache gesprochen wurde. Weswegen auch heute in dem wie besagten slawischen Meer eine lateinische Sprache gesprochen wird (begünstigt durch die relative, freiwillige Isolation Rumäniens).

Diese frühere romanische Sprache vermischte sich mit dem Lateinischen und es entstand im Laufe der Jahrhunderte die rumänische Sprache wie wir sie heute kennen. Was wie gesagt nur eine Hypothese meinerseits ist!

(19.03.2016, 14:55:30)wortigkeit schrieb: - Wie sehr sind die konkurrierenden Hypothesen (mit den Extrem-Polen Kontinuität vs. mittelalterliche Migration im Rahmen der Transhumanz) oder die daraus entstandenen Diskussionen von außer-wissenschaftlichen Motiven geprägt?

Wohl sehr stark würde ich meinen. Vor allem in Folge der Gründung der Nationalstaaten versuchte man sein eigenes Volk mit einem Urvolk verbinden und was nicht passte wurde passend gemacht.

(19.03.2016, 14:55:30)wortigkeit schrieb: Jedenfalls ein sehr spannendes Thema! Ich werde heute Abend ältere Vorlesungsmitschriften nach genaueren Argumenten und Literaturhinweisen konsultieren.

Ich freue mich bereits sehr auf deine Antworten und bin dir für die Teilnahme an der Diskussion sehr dankbar.

Wie gesagt, liegt mein Hauptaugenmerk darauf den Grund zu finden wieso in Rumänien eine lateinische Sprache gesprochen wird. Wie groß war der Einfluss der Daker bzw. gibt es diesen überhaupt noch oder wurde er mit der Zeit verdrängt? Und begünstigte dieser Einfluss der Daker die Bildung einer romanischen Sprache oder, wäre er nur stark genug gewesen, eher die Bildung einer Sprache einer komplett anderen Sprachfamilie (für die Daker waren die Goten (nicht Geten!) immer ein großes Thema)

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#4
 
Sehr schade - hoffte doch auf mehr Antworten.
Ist aber wohl ein schweres Thema und wie wortigkeit sagte, ist es selbst in wissenschaftlichen Kreisen umstritten was da jetzt genau war :)
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#5
 
Vielleicht kommen noch Antworten. Das hier ist nicht Twitter. Hier tickt das Internet etwas langsamer. Zwinker
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#6
 
Ich kann jetzt nicht auf alle von dir, theolos, angesprochenen Punkte eingehen, deswegen zunächst kurz zur Erläuterung, bei welchen Punkten die (Sprach-)Wissenschaft allgemein Einwände haben könnte:

Quellenkritik: Antiken Historiografen und Geografen ist nicht blind zu vertrauen. Weder verfügen sie über so umfassende Instrumente wie die heutige Wissenschaft, noch war es immer ihr einziges Ziel, die Wirklichkeit adäquat zu beschreiben. Stattdessen spielen oft politische Motivationen eine Rolle. So attestiert z.B. Tacitus den Dakern Unzuverlässlichkeit.

Unidirektionalität: Sprachwandel- und Sprachkontaktprozesse unterliegen einer Interaktion von vielen verschiedenen Faktoren und Linguisten diskutieren deswegen etliche verschiedene Modelle von Kontaktszenarien. Es ist sehr schwer zu sagen, dass, wenn zwei Sprachen aufeinander treffen, Szenario X oder Y eintreten müsste. Besonders gilt dies, wenn wir viel zu wenig über die äußeren Bedingungen des Kontakts wie beim Machtverhältnis Römer - Daker wissen.

„Reinheit“/Isoliertheit: Du deutest es ja bereits selbst an: Für keine, auch keine vorhistorische Sprache lässt sich ausschließen, dass sie nicht selbst durch Kontakt mit anderen Sprachen beeinflusst ist. Das Lateinische zeigt seit Anbeginn seiner Überlieferung Einflüsse aus Nachbarsprachen und genauso gut ist es möglich, dass der „Dako-Thrakische Komplex“ schon vor Eintreffen der Römer in wechselseitigem Kontakt mit anderen Sprachen stand. Auch das vorausgehende Urindogermanische wird nicht frei von Kontakten gewesen sein (es wurde auch schon vorgeschlagen, dass es selbst ein Kreol wäre, wenn auch ohne Überzeugungskraft). Sprachhistoriker sind aber zugegebenermaßen selbst gern anfällig für die romantische Vorstellung der Einfachheit vorhistorischer Verhältnisse, wobei eigentlich klar sein sollte, dass die sprachliche Situation vor 2.000, 5.000 oder 10.000 Jahren nicht weniger komplex war als heute.


(19.03.2016, 18:43:41)theolos schrieb: Ich gehe nicht davon aus dass vor dem Lateinischen eine rumänische Sprache gesprochen wurde, sondern nehme an oder besser gesagt, ich stelle die Hypothese in dem Raum, dass bereits vor den Römern von den Daker eine romanische Sprache gesprochen wurde. Weswegen auch heute in dem wie besagten slawischen Meer eine lateinische Sprache gesprochen wird (begünstigt durch die relative, freiwillige Isolation Rumäniens).

Nach der Kontinuitätstheorie sind die Slawen erst nach Herausbildung des Protorumänischen nach Südosteuropa eingewandert. Es stellt sich also vielmehr die Frage, warum sich das Dakorumänische und Aromunische erhalten haben, während andere balkanromanische Sprachen und Dialekte wie Istrorumänisch und die dalmatischen Sprachen „zu Gunsten“ des Slawischen ausgestorben sind. Überhaupt muss es bis in das Mittelalter viel mehr Romanischsprachigkeit in Südosteuropa gegeben haben, wie auch der starke vulgärlateinisch/frühromanische Einfluss auf das Albanische zeigt. Sprachwissenschaftler wiederum suchen die Gründe statt in den Strukturen der Sprachen selbst oder kulturellen Eigenheiten der Sprecher (so verstehe ich dich) vielmehr in äußeren politischen und sozialen Umständen. Wichtig kann z.B. sein: Was hat die politische und kulturelle Elite gesprochen? Welche Sprache dominierte in den Städten? Welche Rolle spielten Religion und Kirche bei der Durchsetzung, Herausbildung und Standardisierung einer Sprache? Das sind Fragen, über die ich für das geografische Gebiet des Rumänischen zu wenig bescheid weiß, fürchte aber, dass es für die Frühzeit auch nur wenige Quellen dafür gibt. Letztendlich ist die heutige Sprachenkarte nur ein Zufallsprodukt dieser historischen Entwicklungen.
Abhängig von solchen Faktoren ist auch, ob ein Sprachwechsel, wie er im Rahmen der Romanisierung europaweit stattgefunden hat, 600 Jahre oder nur ein oder zwei Generationen dauert – für beides gibt es Beispiele. Ein typisches Szenario ist, dass die Vorbildwirkung einer prestigeträchtigen Elite, z.B. der politischen Führung oder des Herrscherhauses sehr stark war und von allen, die „dazugehören“ wollten, deren Sprache übernommen wurde. Auch ökonomische Gründe können eine Rolle spielen: Wer an diese, sicher vermögende Elite etwas verkaufen will, muss mit ihnen kommunizieren.


(19.03.2016, 18:43:41)theolos schrieb: Diese frühere romanische Sprache vermischte sich mit dem Lateinischen und es entstand im Laufe der Jahrhunderte die rumänische Sprache wie wir sie heute kennen. Was wie gesagt nur eine Hypothese meinerseits ist!

Ich sehe nicht ganz, woraus du diese Hypothese schließt. Ich kenne nur Klassifikationen, die die Daker entweder den Thrakern zurechnen, vor allem im sprachlichen Sinne, oder als ganz eigenständig bzw. unklar betrachten. Es gibt hier vor allem ein terminologisches Problem: „romanisch“ bezeichnet per definitionem eine Sprache, die aus dem (Vulgär-)Lateinischen abstammt und das Lateinische wurde in antiker Zeit mit der Expansion des Römischen Reiches verbreitet. Eine Gattungsbezeichnung „lateinische Sprache“ ist nicht gebräuchlich, würde aber dasselbe meinen. Ich bin mir deswegen nicht sicher, ob wir über das gleiche sprechen. Nennen wir doch die vorrömische Sprache der Daker Dakisch und legen uns nicht fest, wie sie genetisch zu klassifizieren ist. Dieses Dakische können wir – mit größtem Vorbehalt – neben einer sehr geringen griechischen und römischen Nebenüberlieferung (fast nur Personen- und Pflanzennahmen) nur in Orts- und Gewässernamen der betreffenden Regionen und sogenannten Substratwörtern im Rumänischen fassen. Letztere, etwa 160-170 Wörter, bilden den Schwerpunkt der Forschung über die prä-romanische Vorgeschichte des Rumänischen. Es handelt sich um Wörter, die in keiner anderen romanischen Sprache vorkommen und keine romanische Etymologie haben, aber auch nicht aus dem Slawischen, Türkischen oder anderen Kontaktsprachen des Rumänischen entlehnt wurden. Für einige dieser Wörter finden sich offenbar verwandte Wörter in den Nachbarsprachen Albanisch sowie Bulgarisch und Makedonisch, wo sie in deren Wortschatz etymologisch ebenso isoliert sind.
Das betrifft z.B. rumän. baligă ‚Mist, Dung‘ (alban. baljëgë, bajgë), baltă ‚Pfütze, Tümpel‘ (alban. baltë ‚Sumpf‘), rumän. barză ‚Storch‘ (alban. bardhë ‚weiß‘), rumän. buză ‚Lippe‘ (alban. buzë ‚Lippe‘), rumän. mazăre ‚Bohne‘ (alban. modhullë ‚eine Erbsensorte‘), rumän. dial. mînz ‚Hengst‘ (alban. mëz ‚Fohlen‘), rumän. vatră ‚Herd, Feuerstelle‘ (alban. vatër ‚Herd‘).

Das ist dir aber sicher alles bekannt, ebenso wie einschlägige Literatur. Hier trotzdem für interessierte Mitleser Standardwerke zu dem Thema (man bemerkt bereits an den Titeln die Zusammenstellung von Dakisch und Thrakisch):
Duridanov, I. (1985): Die Sprache der Thraker. Neuried: Hieronymus Verlag 1985. [bulg. Ezikăt na trakite, Sofia 1976.]
Georgiev, V. (1972). The Earliest Ethnological Situation of the Balkan Peninsula as Evidenced by Linguistic and Onomastic Data. In: Birnbaum, Henrik / Vryonis Speros (Hrsg.): Aspects of the Balkans: continuity and change. Mouton.
Georgiev, V. (1981). Introduction to the history of the Indo-European languages. Sofia : Publ. House pf the Bulgarian Acad. of Sciences.
Russu, I. I. (1967). Limba traco-dacilor. Bucharest: Editura Ştiinţifică. [dt.: Die Sprache der Die Sprache der Thrako-Daker, Linguistische Studien, Halle: Niemeyer o.J.]
(+ weiteres von Duridanov und Georgiev)

Im Internet findet sich z.B. diese informative Liste: https://en.wikipedia.org/wiki/List_of_Ro...ian_origin
(Man beachte die semantischen Felder! Hirtentermini sind ein Argument für Sprachkontakt im Rahmen der Transhumanz.)

Insofern ist dir zuzustimmen, dass es Indizien für eine vor-romanische (oder vor-lateinische) Schicht in der Sprachgeschichte des Rumänischen gibt und man von einer Sprachmischung sprechen kann. Der Anteil dieses Substrats (=Einfluss einer überlagerten Sprache auf die sie überlagernde Sprache) ist jedoch gering (<10%) und betrifft weniger den Grundwortschatz, sodass also ein Linguist das Rumänische ohne mit der Wimper zu zucken als Romanisch einordnen würde (d.h. es ist eine Sprache, die weitgehend eine Fortsetzung des Vulgärlateinischen darstellt und in dem diese Grundlage noch erkennbar ist – wichtig: auch in der Grammatik). Das schließt nicht aus, dass es daneben weitere Einflüsse von geringerem Umfang gab und gibt. Wie du ja sagst, haben auch das Griechische, Slawische, Türkische und Deutsche Spuren im Rumänischen hinterlassen. Auch das Französische ist klar eine romanische Sprache, besitzt aber einen geringen Anteil gallischer, d.h. keltischer Substratwörter.
Bisher habe ich nur über den Wortschatz gesprochen – leider ist das auch der einzig ergiebige Bereich für vor-rumänische Substratforschung. Zwar wäre es durchaus plausibel, dass die Sprache, die wir oben als Dakisch definiert haben und die potentiell für einige der Substratwörter im Rumänischen die Quelle war, auch andere sprachliche Ebenen wie die Phonologie, Morphologie und Syntax des heutigen Rumänischen beeinflusst hat und auf allen diesen Ebenen unterscheidet sich Rumänisch ja vom (Vulgär-)Lateinischen, aber mangels Kenntnis über die Ausgangssprache lässt sich darüber nicht viel sagen. Oben genannte Autoren versuchen es aber teilweise.
Ob aber diese oben genannten Wörter im Rumänischen alle auf eine Sprache zurückgehen, die von denselben Menschen gesprochen wurde, die antike Schriftsteller wie Herodot als Daker bezeichnen, ist völlig offen. Ebenso, ob es sich überhaupt um nur éine Sprache handelt. Wir kennen ja (und eben kaum mehr als das) etliche Bezeichnungen für Völker- und Stämme jener Region (Daker, Thraker, Geten, Moesier, Illyrer, …). Zugleich wissen wir, dass es in Südosteuropa in nachantiker Zeit intensiven, variablen Sprachkontakt gegeben hat, wodurch die heutigen Sprachen Albanisch, Makedonisch, Griechisch und Aromunisch und in einem weiteren Kreis auch (Dako-)Rumänisch und weitere südslawische Dialekte Gemeinsamkeiten in Wortschatz und Grammatik zeigen (=„Balkansprachbund“).

Es könnte also – als ein mögliches Szenario im Rahmen der Kontinuitätsthese – angenommen werden, dass einige nach offiziellem Abzug des römischen Reiches in Dakien verbliebene Römer (z.B. Veteranen, die sich ein neues Leben aufgebaut haben) für die sprachliche Romanisierung ausgereicht haben. Aus heute nicht mehr nachvollziehbaren Gründen sind über einen unbekannten Zeitraum hinweg nach und nach alle Autochthonen („Daker“) zu deren Sprache gewechselt, haben aber nur unvollständig ein Vulgärlatein gelernt, das mit Elementen ihrer Vorgängersprache(n) durchsetzt wurd eund sich noch heute im Wortschatz des Rumänischen fassen lässt. Das könntest du also als Einfluss der Daker im Sinne deines letzten Punktes werten.
Rein theoretisch hätte Ähnliches natürlich auch im Kontakt mit anderen Sprachen geschehen können, aber wie angedeutet ist das Prestige einer Elite ein typischer Faktor für Sprachwandel und –wechsel. In den Reichen der von dir angesprochenen Goten haben sich keine Prozesse wie hier durchgesetzt (man findet im Gegenteil nur Superstratwirkung, z.B. ital. port. albergo < got. *hairberga), was zeigt, dass dort Bedingungen und kultureller Druck dort anders waren.


Ich bezweifle stark, dass deine Fragen damit beantwortet sind, aber vielleicht hilft dir mein etwas kritisches Geschreibsel als Anregung für weitere eigene Nachforschungen. ;)
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#7
 
Nachtrag.

Ich habe meine alten Notizen durchgesehen und einige Argumente für die konkurrierende Migrationsthese, gemäß der das Rumänische südlich der Donau und damit südlich des Gebietes der Daker entstanden sei, zusammengesucht (vgl. besd. Arbeiten von Gottfried Schramm):
- Wie theolos schon angesprochen hat, bestehen Zweifel, ob Zeit und Intensität für die Romanisierung in den 170 Jahren der Provinz Dacia genügt haben – schließlich ging diese in anderen Provinzen von den Städten aus und römische Städte sind für Dakien nach 275 nicht mehr anzunehmen, stattdessen sind wohl genau die prestigetragenden Eliten abgezogen worden.
- Die Gebiete südlich der Donau (Provinz Moesia) standen hingegen deutlich länger unter römischem Einfluss und es gab etablierte römische städtische Zentren.
- Die frühen Sprachbeziehungen zum Albanischen, die aber weniger die heute dazwischenliegenden slawischen Varietäten betreffen, legen ein Kontaktgebiet weiter im Süd(-Westen) nahe.
- Nördlich der Donau sich nach dem 3. Jh. keine lateinischen Inschriften mehr belegt.
- Es finden sich kaum alte lateinische Ortsnamen nördlich der Donau.

Die Migrationsthese wurde z.T. aus politisch-ideologischen Gründen angegriffen, da sie einen Ansatzpunkt für nationalistische Argumentationen bietet und Ungarn als die ersten Besiedler für Teile des heutigen Rumäniens und Rumänen für Teile des heutigen Bulgariens propagieren könnte, woraus ein angeblich rechtmäßiger Anspruch erhoben werden könnte.

In diesem Modell ist ein spezifisch dakischer Einfluss auf die Entstehung des Rumänischen weniger wahrscheinlich. Genannte Auffälligkeiten im Wortschatz wären über Sprachkontakt im Rahmen der Transhumanz erklärbar, wofür die Distribution über die balkanromanischen Sprachen, das Albanische aber auch in geringerem Umfang bis in das Slawische spräche. Mehrsprachigkeit war lange und bis vor Kurzem etwas völlig Normales in Südosteuropa. Schramm erklärt die Entstehung des vorrumänischen Wanderhirtentums („schafzüchtende Fluchtromania“) und schubweise allmähliche Nordwanderung in die Karpaten als Rückzug nach dem Vordringen der Slawen und Ungarn, woraus sich die Isoliertheit im „slawischen Meer“ erklärt.

Wenn man sich die untere Donau nicht als unüberwindbares Hindernis vorstellt, müssen beide Theorien gar nicht so unvereinbar scheinen, wie sie auf den ersten Blick aussehen.
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